Zeitreise zur Toteninsel

Der Besuch dieses verlassenen Hauses ist wie eine Reise zurück in die Vergangenheit. Der Briefkasten vor dem Haus ist wohl schon lange tot. Und direkt vor der Haustüre ist im Laufe der Jahre ein Baum ungestört gewachsen und erschwert heute den Zugang ins Haus. Wer dennoch einen Weg ins Innere findet, staunt über eine beinahe museal wirkende Wohnung, die wohl schon seit vielen Jahren verlassen ist. Über einem Türrahmen hängt Arnold Böcklins morbide „Toteninsel“, welche dem Basler Maler Ende des 19. Jahrhunderts zu weltweitem Ruhm verhalf. Mit dem Bild traf der Maler damals das Lebensgefühl der Menschen. Es wurde zu einem Identifikationsbild des „Fin de Siècle“, als die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg von einem Bewusstsein geprägt war, dass eine Epoche sich endgültig ihrem Ende zugeneigt hatte. Ob das Bild auch die Gefühlswelt des letzten Bewohners dieses verlassenen Hauses ausdrückte, wissen wir nicht. Sicher steht es aber auch heute noch sinnbildlich für eine vergangene Zeit und eine Welt von Gestern. Gastbeitrag von stewi
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10 Idee über “Zeitreise zur Toteninsel

  1. Enzo sagt:

    Ab und an finde ich mich auf einer Seite wie dieser hier. Als Kind betrat ich Häuser wie das Zeitreisenhaus, wo ich sie fand. Das waren für mich nie lost places, wie sie heute gerne bezeichnet werden. Das waren immer „new found places“. Wie konnten diese Plätze verloren sein, wenn ich sie gefunden hatte?

    Geht es euch Entdeckern und Entdeckerinnen nicht auch so?

    Jedenfalls muss man euch dafür dankbar sein, dass ihr mit euren Recherchen, Ausgrabungen, Expeditionen und Narreteien dem alten Handwerk der skaldischen Erzählkunst neue, überraschende, spannende Facetten hinzufügt. Und dafür, dass Ihr eure Bilder (wohl oft unter nicht ganz einfachen Bedingungen entstanden) frei zugänglich hält.
    Ich nehme schwer an, Ihr seid alle weder durchgeknallt noch lebensmüde. Neugierig bis zur Grenze, genussvoll das Morbide im Erleuchteten suchend (oder umgekehrt), mit einem feinen Gehör und Gespür für die Sprache der Vergangenheit und einem radarähnlichen Sinn für die tausenden von unerzählten Geschichten, das wohl schon, zumindest stelle ich mir euch so vor. Aber weder respektlos noch kriminell.

    Darum nimmt es mich Wunder:

    Wann geht ihr lieber in solche Orte? Bei Nacht und Nebel, wo das Aussen schon beeindruckend genug sein kann? Oder an einem sonnigen Tag, wo der Gegensatz zwischen drinnen und draussen so krass sein kann?

    Wie nähert ihr euch der Geschichte eines Ortes und seiner ehemaligen Bewohnerschaft? Da gibt’s ja vermutlich die unterschiedlichsten Möglichkeiten …

    Was passiert, wenn ihr an einem solchen Ort neue Erkenntnisse gewinnt über seine Vergangenheit und die Menschen, die ihn früher bewohnten? Was macht ihr mit solchen Erkenntnissen?

    Habt Dank und Gruss,

    Enzo.

    • stewi sagt:

      Hab vielen Dank für deinen spannenden und wertschätzenden Kommentar. Die Leidenschaft, verlassene Orte zu erkunden, hat vermutlich bei den meisten vielerlei Hintergründe. Mich persönlich fasziniert immer wieder die Poesie der Vergänglichkeit, die ich an solchen Orten erlebe. Egal, ob es verlassene Häuser, Fabriken oder Bergwerke sind, immer erzählen sie eine Geschichte und machen Vergänglichkeit spürbar. Die Poesie entsteht, wenn der Verfall und seine unterschiedliche Stadien beispielsweise an abblätternden Farbschichten, sich von der Feuchtigkeit wölbenden Dielenböden oder schlicht durch die Rückeroberung der Natur sichtbar werden. Die Herausforderung besteht dann darin, die Stimmung vor Ort fotografisch festzuhalten und zu Hause in der Nachbearbeitung kreativ so zu gestalten, dass die vorgefundene Stimmung möglichst realistisch wiedergegeben werden kann.
      Ich persönlich suche verlassene Orte am liebsten bei diffusem Licht auf. Die Zeit, zwischen November und Februar, an denen es Tage gibt, wo es nie so richtig hell werden will, sind mir am liebsten. I want it darker, entspricht mir allgemein eher als heisse und sonnige Tage. Die besten Bilder sind immer unter diesen Bedingungen entstanden.
      Über manche Orte wie beispielsweise verlassene Wohnhäuser wissen wir gar nichts. Oft finden sich dann vor Ort berührende Hinterlassenschaften der letzten Bewohner wie persönliche Fotos oder Briefe. Hier versuchen wir, so respektvoll wie möglich damit umzugehen. Wir sind für die kurze Zeit unseres Aufenthaltes Besucher in einer untergegangenen Welt und nehmen nichts mit als unsere Bilder. Dann verlassen wir den Ort wieder still und so, wie wir ihn vorgefunden haben. Bei Orten wie verlassenen Fabriken oder aufgegebenen Bergwerken finden sich oftmals viele Informationen im Netz. Hier kann ich mich richtig in die Fachliteratur vertiefen. Unterdessen weiss ich schon einiges über die Funktionsweise von Hochöfen, Eisengiessereien oder Kohlemienen. Gerade bei Industrien der Stahlproduktion oder des Kohleabbaus im Bergwerk ist die Vergänglichkeit und ihre Auswirkungen auf die Menschen spürbar. In einem verlassenen Lothringer Bergwerk hatte ich eine spannende Begegnung mit einem jungen Urbexer. Er erzählte mir von seinem Vater und Grossvater, die beide als Bergmänner unter Tage fuhren und sich mit ihrem Beruf identifizierten. Sie waren stolz darauf, mit ihrer Arbeit den Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg in harter Arbeit ermöglicht zu haben. Mit der Kohle wurde Eisenerz zu Stahl verhüttet, in den Kraftwerken Strom produziert und in den Wohnungen der Menschen Wärme erzeugt. Mit der Dekarbonisierung ist der Kohleabbau fast gänzlich verschwunden und damit hat sich in kurzer Zeit eine industrielle Epoche radikal gewandelt. Auch das ist mit dem Besuch der industriellen Hinterlassenschaften dieser Zeit eindrücklich und hautnah zu erleben, so lange es sie noch gibt. Never stop exploring!

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